Die letzten sieben Tage der Schöpfung

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Die letzten sieben Tage der Schöpfung

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Aber nach vielen Jahrmillionen war der Mensch endlich klug genug. Er sprach:
Wer redet hier von Gott? Ich nehme meine Zukunft selbst in die Hand. Er nahm
sie, und es begannen die letzten sieben Tage der Erde.

Am Morgen des ersten Tages beschloss der Mensch, frei zu sein und gut, schön
und glücklich. Nicht mehr Ebenbild eines Gottes, sondern ein Mensch. Und weil
er etwas glauben musste, glaubte er an die Freiheit und an das Glück, an Zahlen
und Mengen, an die Börse und den Fortschritt, an die Planung und seine
Sicherheit. Denn zu seiner Sicherheit hatte er den Grund zu seinen Füßen gefüllt
mit Raketen und Atomsprengköpfen.

Am zweiten Tage starben die Fische in den Industriegewässern, die Vögel am
Pulver aus der chemischen Fabrik, das den Raupen bestimmt war, die Feldhasen
an den Bleiwolken von der Straße, die Schoßhunde an der schönen roten Farbe
der Wurst, die Heringe am Öl auf dem Meer und an dem Müll auf dem Grunde
des Ozeans. Denn der Müll war aktiv.

Am dritten Tage verdorrte das Gras auf den Feldern und das Laub an den
Bäumen, das Moos an den Felsen und die Blumen in den Gärten. Denn der
Mensch machte das Wetter selbst und verteilte den Regen nach genauem Plan. Es
war nur ein kleiner Fehler in dem Rechner, der den Regen verteilte. Als sie den
Fehler fanden, lagen die Lastkähne auf dem trockenen Grund des schönen
Rheins.

Am vierten Tage gingen drei von vier Milliarden Menschen zugrunde. Die einen
an den Krankheiten, die der Mensch gezüchtet hatte, denn einer hatte vergessen,
die Behälter zu schließen, die für den nächsten Krieg bereitstanden. Und ihre
Medikamente halfen nichts. Die hatten zu lange schon wirken müssen in
Hautcremes und Schweinelendchen. Die anderen starben am Hunger, weil etliche
von ihnen den Schlüssel zu den Getreidesilos versteckt hatten. Und sie fluchten
Gott, der ihnen doch das Glück schuldig war. Er war doch der liebe Gott!

Am fünften Tage drückten die letzten Menschen den roten Knopf, denn sie
fühlten sich bedroht. Feuer hüllte den Erdball ein, die Berge brannten, die Meere
verdampften, und die Betonskelette in den Städten standen schwarz und
rauchten. Und die Engel im Himmel sahen, wie der blaue Planet rot wurde, dann
schmutzig braun und schließlich aschgrau. Und sie unterbrachen ihren Gesang für
zehn Minuten.

Am sechsten Tage ging das Licht aus. Staub und Asche verhüllten die Sonne, den
Mond und die Sterne. Und die letzte Küchenschabe, die in einem Raketenbunker
überlebt hatte, ging zugrunde an der übermäßigen Wärme, die ihr gar nicht gut
bekam.

Am siebten Tage war Ruhe. Endlich. Die Erde war wüst und leer, und es war
finster über den Rissen und Spalten, die in der trockenen Erdrinde aufgesprungen
waren. Und der Geist des Menschen irrlichterte als Totengespenst über dem
Chaos. Tief unten in der Hölle aber erzählte man sich die spannende Geschichte
von dem Menschen, der seine Zukunft in die Hand nahm, und das Gelächter
dröhnte hinauf bis zu den Chören der Engel.

von Jörg Zink